Die meisten Kinder machen irgendwann die Phase durch, dass sie nicht teilen wollen. Meistens ihren eigenen Besitz nicht, aber manchmal wollen sie selbst fremden Besitz nicht teilen, weil der gehört ja gefälligst auch ihnen, wenn sie den gerade haben wollen oder der Gegenstand in der Vergangenheit schonmal in ihrer Hand war 😀
Manche Kinder teilen schon früh sehr gerne und haben diese Phase des Nicht-Teilen-Wollens nur sehr kurz und schwach. Andere Kinder wiederum haben diese Phase früh, lang und heftig mit Tobsuchtsanfällen, Schreiattacken und großer Verzweiflung.
Wie groß diese Verzweiflung sein kann, kann man als Erwachsener nur erahnen, weil wir als Erwachsene selten unseren Besitz hergeben müssen. zB wenn jemand ungefragt oder gegen unseren Willen etwas von unserer Sushiplatte isst, unseren wertvollen Laptop mit dem noch ungesicherten Fotoalbum mit einer Hand trägt oder das Kristallglas unserer Urgroßmutter zum Anstoßen verwendet. Unsere Freunde halten diese Grenzen aber normalerweise ein und fragen vorher und akzeptieren unsere Antwort. Und wenn Fremde oder ungeliebte Menschen solche Grenzen überschreiten, werden wir wütend und sagen ihnen (vermutlich) ganz schön unsere Meinung.
Einem Kind gesteht man diese Verzweiflung meist weniger zu, weil es uns häufig lächerlich oder seltsam vorkommt, warum ein Kind an einem billigen Gegenstand so klammert. Aber für dieses Kind bedeutet dieser Gegenstand sehr viel. Es ist nicht notwendig, dass wir verstehen, WARUM es diesen Gegenstand nicht teilen will. Es ist nur notwendig, dass wir akzeptieren, dass es diese Gefühle hat und diese Gefühle nicht belächeln und darauf Rücksicht nehmen.
Auf Spielplätzen und an neutralen Orten funktioniert es meistens noch ganz gut, dass ein Kind nicht unbedingt teilen muss. Aber wenn man Besuch hat und das eigene Kind will nicht(s) teilen… Oooh man. Die Gäste sollen sich doch wohl fühlen. Kein Gast möchte das Gefühl haben, sich nicht willkommen zu fühlen, nichts anfassen zu dürfen und nur Bittsteller zu sein. Und ein Gastkind möchte mit den Spielzeugen spielen, die es dort so sieht.
Wie passt das zusammen mit einem Kind, das nicht teilen möchte? Muss ein Kind teilen können? Weil „man“ nunmal teilen soll?
Warum möchten wir eigentlich so unbedingt, dass unser Kind teilen lernt? – Weil es als freundlich, empathisch, lieb und nett gilt, wenn man teilt. Wer nicht teilt, ist egoistisch, fies und herzlos und wird vermutlich nie Freunde haben. Natürlich möchten wir, dass unser Kind von anderen Menschen gemocht wird. Manchmal ist es uns auch peinlich, wenn unser Kind nicht teilen will.
Warum sollten wir trotzdem unser Kind nicht pauschal zum Teilen zwingen?
Ein verzweifeltes Kind, das zum Teilen gezwungen wird, besonders von seinem Lieblingsspielzeug, lernt nicht das empathische Teilen. Es lernt, dass stärkere Menschen ihm Sachen wegnehmen können und es lernt, dass es falsch ist, wenn es sich wehrt. Je nachdem wie wir danach noch reagieren, lernt es, dass es seine negativen Gefühle darüber auch nicht zeigen darf, denn die sind auch falsch und böse. Es bekommt Verlustängste und fühlt sich von seinen Eltern missverstanden und im Stich gelassen. Es fühlt sich hilflos und überfordert. Es bekommt die Möglichkeit genommen, aus sich selbst heraus zu wachsen und zu lernen, wie schön freiwilliges Teilen sein kann.
Ist jetzt die Lösung, dass das Kind einfach gar nicht teilen muss? Ich finde nicht. Wir müssen Lösungen finden, die aber für jeden Moment und jede Situation anders sein können und immer wieder neu angepasst werden müssen. Wenn man die Bedürfnisse von allen Beteiligten anguckt, kann man versuchen Kompromisse zu finden, womit jeder zufrieden ist.
Häufig muss ein Kind auch gar nicht teilen, damit das andere Kind zufrieden ist. Meistens lässt sich eines der Kinder auch mit einem anderen Gegenstand zufrieden stellen. Wenn man dann weiterhin auf das Teilen besteht, dann eigentlich nur, weil „man aber teilen muss“ und das Kind das Teilen jetzt mal ganz schnell lernen sollte. Mit den Bedürfnissen der beiden beteiligten Kinder hat das dann in dem Moment gar nichts mehr zu tun. Sondern eher damit, dass man selber nicht aushält, ein vermeintlich unsoziales Kind zu haben.
1. Beobachtungen erklären
Man kann dem Kind seine Beobachtung der Situation erklären. Dann lernt es hoffentlich mit der Zeit wie es anderen Menschen geht und warum Teilen gut sein könnte. Diese Beobachtungen sollte man in möglichst neutralem und nicht anklagenden Tonfall sagen. Auch die positiven Beobachtungen kann man natürlich sehr erfreut mitteilen, sollte dabei aber aufpassen, dass man seinem Kind nicht das Gefühl gibt, dass es nur ein gutes Kind ist, wenn es sich so benommen hat, wie wir es in unserem Kopf gerne hätten.
„Hey, guck mal, das Kind möchte auch mit dem Kuscheltier spielen.“
„Das Kind ist traurig, weil es auch damit spielen will.“
„Du hast dem Kind das Spielzeug weggenommen. Deshalb ist es jetzt wütend.“
„Das Kind ist bei uns zu Gast und möchte auch etwas zum Spielen haben.“
„Das Kind hat sich total gefreut, dass es das Kuscheltier haben darf.“
2. Grenzen setzen
Man kann Grenzen setzen, wenn man merkt, dass die Bedürfnisse von anderen zu stark angegriffen werden bzw. sonst nicht ausreichend erfüllt werden. Dabei sollte man aber am besten ohne vorwurfsvollen Tonfall reden, denn Schuldzuweisungen und Moralvorwürfe schaffen keine konstruktive Atmosphäre. Falls nötig, sollte man die Grenzen auch körperlich zB durch Abhalten setzen, wenn ein anderes Kind sonst verletzt wird.
„Nicht schubsen.“
„Ich möchte nicht, dass du haust.“
„Frag bitte, bevor du dem Kind den Ball wegnimmst.“
„Das Kind hat nein gesagt. Gib den Ball bitte zurück.“
„Ich möchte, dass unser Gastkind auch mit etwas spielen darf. Such bitte etwas aus, womit es spielen darf.“
3. Kompromisse
Häufig finden sich Alternativen und Kompromisse, mit denen alle Beteiligten einigermaßen zufrieden sind. Es geht am Ende nicht darum, die Lösung zu finden, die moralisch korrekt ist, sondern die Lösung, mit der alle leben können. Und wenn dafür das Teilen gar nicht mehr nötig ist, dann ist das auch okay.
„Möchtest du stattdessen mit der Puppe spielen?“
„Jetzt fährst du noch drei Runden mit dem Bobbycar und danach darf das andere Kind.“
„Hast du einen Vorschlag, womit das andere Kind spielen kann?“
„Welches Lieblingsspielzeug dürfen die Gastkinder nachher nicht benutzen? Dann legen wir das vorher weg, bevor der Besuch da ist.“
„Kommt, wir gehen nach draußen in den Wald/Park/Stadt/Spielplatz und spielen da. Dann müssen wir hier nicht mehr um das Spielzeug streiten.“
4. Bedürfnisse gewichten
Eventuell entscheide ich, dass ich das Bedürfnis von jemand anderem über das Bedürfnis von meinem Kind stelle. zB das Bedürfnis des Gastkindes, sich auch wohl zu fühlen. Oder mein Bedürfnis, dass meine Freunde und Bekannte mit ihren Kindern mich beim nächsten Mal wieder besuchen möchten. Dann muss ich aber dazu stehen. Ich kann zwar meine Entscheidung begründen und erklären, aber mein Kind sollte die Freiheit haben kein Verständnis dafür haben zu müssen und wütend sein zu dürfen.
„Es tut mir leid. Ich habe dem anderen Kind den zweiten Ball gegeben. Du wolltest nichts von deinem Spielzeug abgeben, aber ich möchte unserem Besuch auch ein Spielzeug geben. Es ist okay, dass du jetzt wütend bist.“
5. Trösten
Manchmal gibt es keinen guten Kompromiss, der alle zufrieden stellt. Dann kann man trösten und in den Arm nehmen. Und vor allem die negativen Gefühle zulassen und aushalten. Es ist okay, traurig zu sein. Das Kind sollte nicht das Gefühl haben, dass seine Gefühle falsch sind oder es sich für seine Trauer oder Wut schämen muss.
„Oh nein. Wollte das Kind dir seinen Ball nicht geben?“
„Bist du jetzt ganz traurig?“
„Es ist okay, traurig zu sein.“
„Soll ich dich in den Arm nehmen?“
„Das andere Kind hat jetzt das Bobbycar. Das scheint dich richtig traurig zu machen.“
„Oh man, ich kann verstehen, dass du jetzt enttäuscht bist.“
Kann man das Thema Teilen auch einfach die Kinder unter sich klären lassen? Ich denke unter gewissen Voraussetzungen ja. Häufig kriegen Kinder das Thema Gegenstände wegnehmen und Kompromisse schließen auch alleine hin, ohne dass Erwachsene einschreiten müssen. Dafür sollten aber ein paar Voraussetzungen erfüllt sein:
- Alle Elternteile sollten damit einverstanden sein, nicht sofort einzugreifen.
- Keines der Kinder sollte Opfer von Attacken sein.
- Wenn eines der Kinder um Hilfe fragt, sollte man mindestens zuhören und beratend zur Seite stehen, damit sich das Kind nicht alleine gelassen fühlt.
- Wenn man merkt, dass es einem Kind schlecht geht, sollte man es ebenfalls nicht alleine lassen, sondern es mindestens trösten.