Ihr fühlt euch durch den Begriff „Bedürfnisorientierte Erziehung“ unter Druck gesetzt? Weil ständig irgendwelche Ratgeber und vermeintlichen Übereltern behaupten, man müsse unbedingt alle Bedürfnisse der Kinder erfüllen, sonst wäre man kein gutes Elternteil?
Dabei wird bedürfnisorientierte Erziehung häufig missverstanden, auch von den Menschen, die sie so hoch anpreisen. Bei bedürfnisorientierter Erziehung geht es nämlich eigentlich um die Bedürfnisse aller Familienmitglieder und aller Mitmenschen. Es geht nicht darum, dass sich die Mutter völlig aufopfert und sich selbst dabei vergessen soll.
Die meisten Mütter haben leider schon von klein auf gelernt, eher auf die Bedürfnisse von anderen zu achten. Immer schön brav sein, fleißig sein, den Freund oder Ehemann zufrieden stellen und auf der Arbeit gefälligst auch immer schön genehm und angepasst sein. Und vor allem nicht eine nervige, hysterische Meckertante sein. Als das gelten Frauen aber sehr schnell, wenn sie versuchen für ihre Bedürfnisse einzustehen.
In den meisten Ratgebern für bedürfnisorientierte Erziehung geht es hauptsächlich um die Bedürfnisse der Kinder, vor allem von Babys und Kleinkindern. Das ist bei bedürfnisorientierter Erziehung natürlich auch sehr wichtig, weil kleine Kinder noch sehr hilflos sind und noch nicht so gut warten können, dass jemand ihre Bedürfnisse erfüllt. Wenn ein Baby Hunger hat, müssen die Eltern nun mal relativ schnell springen. Die Bedürfnisse von den Eltern müssen häufig hinter den Bedürfnissen des kleinen Kindes zurückstecken.
Was aber in vielen Ratgebern etwas untergeht, ist dass die Bedürfnisse der Eltern genauso wichtig sind und mit jedem Tag mehr in den Fokus treten sollten. Mit jedem Tag, das ein Kind älter wird, kann es etwas länger warten, bis ein Bedürfnis erfüllt wird. Und je älter ein Kind ist, desto mehr sollte auf die Bedürfnisse der Eltern Rücksicht genommen werden. Und ja, manchmal ist dann auch ein Bedürfnis der Eltern wichtiger als ein Bedürfnis des Kindes. Häufig kann man aber auch Kompromisse schließen, sodass die Bedürfnisse von allen gleichzeitig einigermaßen erfüllt werden können.
Die Ratgeber für bedürfnisorientierte Erziehung helfen zu verstehen, warum ein kleines Kind bestimmte Bedürfnisse nach Selbstbestimmung, Gefühle ausleben, Erforschen etc. hat. Das Verständnis hilft, sich selber besser zurücknehmen zu können. Es hilft nachsichtig bleiben zu können, wenn das Kind gerade sehr anstrengend ist. Das kann viele Situationen vereinfachen. Aber vor lauter Verständnis für die Kinder geht das Verständnis für die Eltern häufig unter.
Es ist in Ordnung, nicht jeden Wunsch und jedes Bedürfnis eures Kindes immer und sofort zu erfüllen. Das Wichtigste dabei ist, dass ihr eurem Kind nicht das Gefühl gebt, dass das Kind falsch ist oder böse.
Es ist euer Wunsch und euer Bedürfnis, das ihr verteidigt, was völlig legitim ist. Aber dann steht dazu. Eventuell wird euer Kind frustriert, wütend oder traurig sein, wenn ein Wunsch oder Bedürfnis nicht (sofort) erfüllt wird. Das darf euer Kind auch sein und ihr müsst leider den Gedanken ertragen, der Auslöser für diese negativen Gefühle gewesen zu sein. Aber so ist das nunmal. Es lohnt sich trotzdem überall für euch einzustehen und auch mal Nein zu sagen, auch wenn Freund, Mann, Freunde oder Kollegen negativ auf ein Nein von euch reagieren. Ihr seid es wert. Kämpft für euch.
Hier mal ein bekanntes Beispiel zum Thema mit Essen rummatschen:
Wenn euer Kind mit Essen matschen will, weil es das Bedürfnis nach Erforschen hat, dann gebt dem Wunsch ruhig nach, falls ihr gerade Energie und Nerv zum Putzen habt. Wenn ihr dazu keine Energie habt, dann sagt eurem Kind das. Und wenn ihr dazu niemals die Nerven habt oder euer Ekel einfach generell zu groß ist, dann ist das auch in Ordnung so. Dann verbietet es eben immer. Von einem Verbot oder einer Regel wird kein Kind traumatisiert, wenn es ansonsten seine Bedürfnisse erfüllt bekommt und sich geliebt fühlt.
Was eher nicht so gut ist, sind Sätze, die das Selbstwertgefühl eures Kindes angreifen.
Stellt euch einfach vor, euer Partner würde diese Sätze zu euch sagen und überlegt, ob ihr euch durch diese Sätze oder bestimmte Tonfälle schlecht, böse oder minderwertig fühlt oder diese Sätze Schuldgefühle in euch auslösen. Wenn das der Fall ist, dann ist es besser, solche Sätze zu vermeiden.
„Sag mal spinnst du?“
„Wegen dir muss ich jetzt wieder ewig putzen.“
„Kannst du dich wieder nicht benehmen?“
„Das ist echt peinlich, was du da machst.“
Was ihr lieber sagen könntet:
„Lass das bitte. Ich möchte nicht, dass du mit dem Essen matschst.“ reicht völlig aus. Einfach nur weil ihr etwas bestimmtes wollt oder eben nicht wollt. Die meisten Kinder kooperieren im Normalfall von sich aus, wenn sie sehen, dass euch etwas wichtig ist. Wenn sie es nicht schaffen, euren Wunsch zu erfüllen, dann liegt das vermutlich daran, dass ihr eigenes Bedürfnis einfach zu stark ist. In dem Fall könnt ihr mit mehr Nachdruck, emotionaler und auch lauter sprechen. Oder aber die Situation, wie z.B. das Essen, beenden. Vielleicht könnt ihr auch Alternativen finden, das dahinterliegende Bedürfnis eures Kindes zu erfüllen, damit es dann vielleicht beim nächsten Essen das Bedürfnis nach Erforschen nicht so stark hat.
Wenn ihr wollt, könnt ihr noch optional erklären, warum ihr diesen Wunsch habt. „weil ich keine Lust habe, gleich alles putzen zu müssen.“ oder „weil ich erschöpft bin vom Tag, weil ich so viel arbeiten musste und mich jetzt gleich endlich mal in Ruhe hinsetzen möchte.“ Diese Erklärung ist sicherlich hilfreich, dass euer Kind euch besser verstehen kann. Trotzdem sollte man nicht für alles, was einem wichtig ist, eine Erklärung haben müssen. Denn für viele Dinge wissen wir selber häufig nicht, warum wir sie unbedingt brauchen oder schaffen es nicht, die Gründe richtig zu verbalisieren.
Ich hoffe, mein Text hilft euch ein wenig, mehr an euch selbst zu denken und mit gutem Gewissen für euch einzustehen 🙂