Bedürfnisorientierte Erziehung

Bedürfnisorientierte Erziehung. Was ist das überhaupt?

Ganz grob gesehen ist das das genaue Gegenteil von der veralteten autoritären Erziehung, bei der das gewünschte Verhalten mit Drill, Angst, Strafen und Gewalt erreicht werden sollte.
Bedürfnisorientiert sind die meisten Eltern mittlerweile. Manche mehr, manche weniger. Man achtet auf die Gefühle und Bedürfnisse von sowohl Eltern als auch Kindern und versucht mit Empathie und Verständnis zu erziehen.

Und warum braucht diese Art von Erziehung jetzt extra einen Namen? Kann man heutzutage nicht einfach mal erziehen ohne allem einen Namen zu geben?

Man braucht nicht zwingend einen Namen. Wenn man über das Thema eh nicht nachdenken oder sich austauschen möchte, braucht man sich auch keinen Namen merken. Aber Namen helfen, wenn man sich mit anderen austauschen will. Das macht man in Wissenschaften nunmal so. Wir kategorisieren mit Namen. Wir kategorisieren Tierarten, Erziehungsstile und Käsesorten. Und wenn man sich unterhält, braucht man nur das eine Stichwort sagen und der andere weiß direkt, woran er ist. Ich kann „Cheddar“ sagen und der andere weiß direkt, falls ebenfalls Käseexperte, dass ein rötlicher Käse aus Großbritannien gemeint ist. Man kann natürlich den Käse, oder den eigenen Erziehungsstil, mit einigen Sätzen beschreiben. Aber man kann eben auch einfach nur den Namen nennen, wenn zwei Experten unter sich sind.

Und was ist jetzt so toll an diesem bedürfnisorientierten Erziehungsstil?

Das tolle daran ist der große Fokus auf Empathie und Bedürfnisse. Wer seine Bedürfnisse erfüllt bekommt, lebt im Normalfall einfach glücklicher. In manchen Partnerschaften und Familien klappt das einfach so, ohne größer darüber nachzudenken. Jemand der in seiner Kindheit aber massiv destruktive Verhaltensweisen gelernt hat, profitiert stark davon, über seine eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse seiner Liebsten nachzudenken. Wenn man dann noch dafür sorgt, dass alle Familienmitglieder ihre wichtigsten Bedürfnisse erfüllt bekommen… Das ist doch herrlich.

Sind das nicht quasi Helikoptermütter, die dieses bedürfnisorientierte machen?

Nein. Ein großes Bedürfnis von Kindern ist, mutig sein zu dürfen, sich selber auszuprobieren und selbstständig zu werden. Also eigentlich genau das, was in der bedürfnisorientierten Erziehung erfüllt werden sollte.
Manche Eltern haben aber große unverarbeitete Ängste, weswegen sie ihren Kindern dieses Bedürfnis nicht erfüllen können. Das ist aber nicht die Schuld von bedürfnisorientierter Erziehung.

Und erzieht man sich damit nicht voll die egoistischen Tyrannen?

Nein. Man lebt Empathie vor. Und so früh wie möglich zeigt man dem Kind, dass auch seine Mitmenschen Grenzen und man selbst Bedürfnisse haben. Auch ein Säugling kann schon erstaunlich viel Verständnis zeigen, wenn man ihm die eigenen persönlichen Grenzen versucht klar zu machen. Je älter das Kind wird, desto mehr schafft es das.

Aber rasten diese Kinder nicht immer voll krass aus und schmeißen sich auf den Boden und als Eltern soll man dann noch in Ruhe daneben sitzen und „begleiten“?

Ja. Seht es als Investition in die Zukunft.
Gefühle sind nunmal stark. Man kann sie unterdrücken, aber wozu. Das Kind wird mit den Jahren lernen, seine Gefühle weniger extrem auszuleben. Dafür kann es als Erwachsener mit seinen Gefühlen umgehen und verbalisieren statt sie zu unterdrücken.
Wenn ihr mal keine Energie zum „begleiten“ habt, dann sagt eurem Kind das. Sagt ihm, dass ihr gerade das Geschrei nicht hören wollt. Sagt dass ihr ausgelaugt seid. Sagt dass ihr jetzt deshalb euer Kind unter euren Arm klemmen werdet und nach Hause müsst, weil eure eigenen Grenzen erreicht sind.

Bedürfnisorientiert und Gefühle zeigen geht in beide Richtungen, sowohl vom Kind als auch den Eltern aus. Verbalisiert eure eigenen Gefühle und Grenzen, aber ohne Schuldzuweisungen. Schuldzuweisungen zerstören das Selbstwertgefühl aller Beteiligten und verpesten Beziehungen. Eure persönlichen Grenzen klar machen führt zwar auch häufig zu Wut und Frust bei eurem Kind, aber zerstört nicht sein Selbstwertgefühl.

Regeln gibts auch keine bei bedürfnisorientierter Erziehung oder?

Doch. Natürlich. Aber nicht Regeln aus Gründen, weil „man“ das so macht. Sondern diese Regeln entstehen hauptsächlich aus Alltagsabläufen und aus den persönlichen Grenzen der einzelnen Familienmitglieder und Mitmenschen.

Sind bedürfnisorientierte Eltern nicht trotzdem voll die langweiligen Spießer?

Nein. Die können trotzdem lustig sein. Und rebellisch. Und cool.

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