Meine Tochter musste leider schon einige unangenehme medizinische Behandlungen über sich ergehen lassen. Sie hat natürlich immer geweint, aber sich anschließend immer innerhalb von Sekunden wieder beruhigt, spätestens sobald sie auf meinem Arm war. Bisher haben alle Ärzte ihr Weinen akzeptiert und entweder nicht kommentiert oder einfühlsam auf sie reagiert.
Meine Tochter hasst es festgehalten zu werden. Pucken, oder zb Festhalten des Händchens für die Blutabnahme bringt sie in Rage. Gestern fühlte sich die Physiotherapeutin/Osteopathin scheinbar vom Weinen meiner Tochter persönlich angegriffen. Mein anfangs zufriedenes Baby hat sich trotz Ablenkungsversuchen in Rage geschrien, weil sie für die Behandlung nunmal festgehalten wurde. Die gute Frau war dann unter anderem der Meinung, es wäre meine Aufgabe als Erwachsene, meiner Tochter zu sagen „Alles nicht so schlimm.“ Ich sage aber immer „Oh du Arme. Ist das gerade so doof für dich? Nicht mehr lange und du hast es geschafft.“ Ich habe der Physiotherapeutin zuliebe den Satz „Alles nicht so schlimm.“ einmal ausprobiert und es fühlte sich für mich einfach nur falsch an.
Wer bin ich, dass ich für meine Tochter entscheide, was schlimm ist und was nicht? Natürlich werde ich ihre Panik nicht verstärken und selber Ruhe bewahren und in beruhigendem Tonfall mit ihr sprechen. Aber ich möchte ihre Gefühle nicht in Frage stellen. Wenn sie älter ist, kann ich mit ihr über ihre Ängste sprechen und ihr erklären, was gerade passiert und warum wir das machen. Aber auch dann werde ich ihre Ängste nicht abwiegeln, nur weil aus meiner Perspektive etwas nicht schlimm ist.
Wenn ich entscheide, Unangenehmes für meine Tochter zu machen, weil ich es für notwendig halte, dann ist das okay. Aber dann hat meine Tochter jedes Recht darüber unzufrieden zu sein und zu weinen. Ich werde sie trösten und ihr Nähe geben, wann immer möglich. Aber niemals möchte ich, dass sie denken muss, dass ihre Gefühle oder ihr Weinen falsch ist.
Wenn mir mein Zahnarzt sagen würde, es wäre ja alles nicht so schlimm, während er an mir rumbohrt, dann würde mich das ganz sicher nicht beruhigen, sondern sehr sehr wütend machen. Man kann mir sagen, dass die Situation doch nicht so schlimm ist, NACHDEM ich mich ausgekotzt habe und mir zugehört wurde, aber nicht währenddessen, wo ich noch Bestätigung für meine Gefühle brauche.
Am Ende der Behandlung meinte sie zu meiner Tochter „Das hast du sehr gut gemacht.“ Ich weiß es war nett gemeint, aber meine Tochter hat es weder gut noch schlecht gemacht. Sie hat etwas über sich ergehen lassen, weil wir sie dazu gezwungen haben.
Ich wollte nachdem meine Weisheitszähne gezogen wurden oder nach anderen unangenehmen oder intimen Untersuchungen ganz sicher kein „Hast du gut gemacht.“ hören. Da gehört meiner Meinung nach keine Wertung hin. Wenn dann will ich zb ein „Wow du hast deine Ängste überwunden.“ hören. Ich will ganz sicher nicht, dass meine Tochter denkt, es wäre gutes Verhalten von ihr, wenn ihre persönlichen Grenzen überschritten werden und sie irgendwann kapituliert.
Meine Tochter soll weinen dürfen so lange und oft wie sie will und braucht. Sie soll anderen ihren Unmut zeigen dürfen, wenn sie so nicht angefasst werden will. Sie soll niemals denken müssen sie oder ihre Gefühle wären falsch. Und wenn sie alt genug zum Sprechen ist, soll sie Nein und Stopp sagen dürfen, wenn jemand über ihre Grenzen geht. Auch wenn aus medizinischen Gründen manches manchmal notwendig ist, gibt es fast immer einen Weg, das ganze würdevoll, respektvoll und einfühlsam umzusetzen.